Die belgische Regierung hat beschlossen, zwei ihrer Atomkraftwerke bis mindestens 2035 weiterlaufen zu lassen – obwohl das Land ursprünglich den Atomausstieg bis 2025 geplant hatte. Was auf den ersten Blick wie ein Rückschritt erscheint, ist in Wahrheit ein Akt nüchterner Realpolitik.
Der Auslöser ist klar: Energiekrise, steigende Preise, geopolitische Unsicherheiten und das Ziel, den CO₂-Ausstoß zu senken. Belgien hält am langfristigen Ausbau der Erneuerbaren fest – aber erkennt an, dass Versorgungssicherheit und Klimaziele nicht allein mit Windrädern und Solarzellen zu stemmen sind. Kernenergie bleibt eine Brückentechnologie. Ohne Pathos. Ohne Dogma. Mit Vertragspartnern, die Verantwortung tragen.
Und Deutschland?
Hier hätte eine vergleichbare Entscheidung ein politisches Erdbeben ausgelöst. Der Atomausstieg ist zur heiligen Kuh geworden – unabhängig von technischen Entwicklungen, internationalen Vergleichen oder ökologischer Bilanz. Dabei ist gerade die Kombination aus Atomstrom und Erneuerbaren in vielen Ländern der Schlüssel zur Dekarbonisierung.
Während Frankreich, die Niederlande, Schweden und jetzt auch Belgien pragmatisch in die Zukunft blicken, diskutiert Deutschland über Ideallösungen auf dem Reißbrett – und importiert im Zweifel Atomstrom aus dem Ausland.
Man muss kein Atomfreund sein, um anzuerkennen: Die belgische Entscheidung ist rational begründet, demokratisch legitimiert und klimapolitisch vertretbar. Sie zeigt: Energiepolitik kann auch ohne ideologische Scheuklappen funktionieren.
Was für ein seltsamer Fortschritt: In Deutschland geht der letzte Reaktor vom Netz, damit er in Belgien länger laufen muss.
Vielleicht ist es an der Zeit, das politische Schubladendenken zu verlassen. Denn solange wir Kernkraft nur dann tolerieren, wenn sie über die Grenze geliefert wird, statt sie selbst zu nutzen, bleiben wir: energiepolitisch abhängig und moralisch inkonsequent.